Unkonventionell und humorvoll: Kinderbücher aus Norwegen

Unkonventionell und humorvoll: Kinderbücher aus Norwegen

Mit über 370 Neuerscheinungen allein 2017 erleben Kinder- und Jugendbücher in Norwegen aktuell wohl so etwas wie einen Boom. Die Themen sind vielfältig und dabei weniger heiter und unbeschwert, sondern mehr an der Realität orientiert. Mit ihren unterschiedlichen Textformen und ausgefallenen Grafiken werden sie auch von Erwachsenen gern gelesen. Anlässlich des Gastauftritts von Norwegen auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse haben wir vier tolle norwegische Kinderbücher ausgewählt, die wir euch hier vorstellen möchten.

Abenteuer Evolution

Wie ist die Welt entstanden, woher kommen wir und wohin geht unsere Reise? „Die Welt sagte ja“ von Kaia Dahle Nyhus ist eine anschauliche, sehr ansprechende Darstellung der Evolution.

Ein Kind schaut sich den Buchdeckel des Kinderbuches die Welt sagte ja an.

Ein rhythmischer, refrainartiger Text mit kurzen und einfachen Sätzen begleitet die ausdrucksstarken Illustrationen der Norwegerin, die mit großer Leichtigkeit neben den Fortschritten ganz klar auch die Schattenseiten benennt. So lernen die kleinen Weltentdecker nicht nur Wissenswertes über die Entwicklung des Menschen in der Frühgeschichte. Auch das Aufkommen von Neid und Missgunst oder die Umweltzerstörung kommen zur Sprache. „Jetzt ist die Welt fertig“, könnte man am Ende jeder großen evolutionären Errungenschaft meinen. Doch dann tauchen neue Herausforderungen auf. Und es geht weiter. Die Welt ist nie fertig. Sie entwickelt sich. Weiter und immer weiter. Und das ist auch gut so.

Erschienen im Kullerkupp Kinderbuch Verlag, und absolut empfehlenswert für alle, die sich mit dem Abenteuer Evolution beschäftigen wollen. Ab 5 Jahren.

Blick in das Kinderbuch die Welt sagte ja

Experimentelle Bildergeschichten

Eine wirklich außergewöhnliche Bildergeschichte ist Øyvind Torsetters „Das Loch“.

Buchdeckel des Kinderbuches das Loch.

Ein Mann entdeckt ein Loch in seiner Wohnung, das hineingestanzt in das leuchtendgelbe Bilderbuch auch haptisch erlebbar ist. Aufgeregt macht er sich auf die Suche nach der Herkunft des Lochs, das sich zu bewegen beginnt und mal als Waschmaschinenöffnung, mal als Loch im Boden wiederkehrt. Torsetter verknüpft die beiden Genres Comic und Bilderbuch und schafft einen ganz eigenen Erzählstil, der hauptsächlich über Bilder funktioniert. Seine Figuren sind umrisshaft skizziert, nur wenige Flächen eingefärbt. Textpassagen in Form von Sprechblasen gibt es kaum. Es folgt ein lustiges Versteckspiel mit dem Loch, das zu wichtigen Untersuchungen ins Labor gebracht werden soll und unterwegs in einer Ampel, als Auge oder Baustellenloch wiederauftaucht. Obwohl das Loch zu weiteren Tests im Labor verbleibt, sehen wir es als Mond am Himmel und schließlich auch in der Wohnung des Mannes wieder.

„Für alle kleinen und großen Entdecker, Zweifler und Philosophen.“, heißt es im Verlagstext. So sehen wir das auch. Vielleicht auch als eine Art Hinweis darauf, dass sich nicht alle Dinge im Leben erklären lassen. Ein wunderschönes, liebevoll und humorvoll gestaltetes Bilderbuch, das 2014 im Gerstenberg Verlag erschienen ist.

Alte Volksmärchen neu aufgelegt

Wunderschön illustriert ist der schmale Band „die Puppe im Grase“ mit zwölf ausgewählten Volksmärchen von Peter Christen Asbjørnsen und Jørgen Moe, die auch die Brüder Grimm des Nordens genannt werden. 

Buchdeckel des Kinderbuches die Puppe im Grase

Mit ihrem Zeichenstil aus klaren Linien und flächigen Kolorationen setzt die bekannte Berliner Illustratorin Kat Menschik den Erzählungen aus dem 19. Jahrhundert eine moderne und sehr gelungene Bildsprache entgegen. Die Märchen erzählen von einer fantastischen Welt voller Trolle, verzauberter Tiere und Naturgeister. In der Darstellung tiefer, verwunschener Wälder und schier unerreichbarer Gebirgszüge lässt sich die Ursprünglichkeit der norwegischen Natur erahnen. Auch die Farbgebung der ausdrucksstarken Illustrationen spiegeln die Farben des Landes wider. So erinnern die kräftigen Blau-, Rot- und Weißtöne nicht nur an die norwegische Flagge, sondern auch an klare Seen und Fjorde, schneebedeckte Berge, den Himmel und das Meer.

Die im Galiani Verlag erschienene Neuauflage der Volksmärchen ist eine wunderbare Kombination von Text und Bild und als künstlerischer Pappband mit farbigem Seitenschnitt ganz bestimmt eine Bereicherung für die ganze Familie.

Geheimnisvolle Welt

Eine zarte und ästhetisch sehr ansprechende Geschichte über die erste kindliche Liebe ist Stian Holes „Garmans Geheimnis“.

Garman und Johanne, beide etwa sieben, acht Jahre alt, entdecken auf einer Waldlichtung eine alte Metallkapsel, die ihnen fortan als Raumkapsel dient. Hier finden ihre Geheimtreffen statt, sie rücken näher zusammen und erleben zum ersten Mal eine Art Verliebtheit. Holes Erzählton ist klar und ruhig. Seine ungewöhnlichen Collagen sind ein kunstvoller Stilmix aus Malerei, Zeichnung, Fotografie und Grafik. Die teils grotesk verzerrten Kindergesichter sind Ausdruck einer rauen kindlichen Umgebung, in der sich Kinder zurechtfinden müssen. Wie Garman in der anfänglichen Schulhofszene, als er sich ängstlich in den Baumschatten duckt. Dieser Verfremdungseffekt und die unterschiedlichen Größenverhältnisse und Perspektiven verleihen der Geschichte den Charakter einer traumähnlichen Wirklichkeit.

Der Wald mit seiner bezaubernden Tierwelt steht für einen geheimen Rückzugsort, der auch für philosophische Fragen Raum bietet: Wie sieht die Welt von oben aus, kann man Gott im Weltall sehen und gibt es weitere Planeten wie den unseren?

„Garmans Geheimnis“ ist 2012 im Carl Hanser Verlag als dritter Teil einer Kinderbuchreihe erschienen, in der es um die Sicht des kleinen Jungen auf die Welt geht. Empfohlen wird das Kinderbuch ab 5 Jahren, ist aufgrund seiner Thematik vielleicht aber eher für Grundschulkinder geeignet.

Eine große Auswahl an Kinderbüchern aus dem Norden findet ihr übrigens bei Pankebuch, einer engagierten und breit aufgestellten Buchhandlung in Berlin-Pankow. Hier könnt ihr auch online bestellen.

Text: Nina Lenze